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Volkswagen kündigt weite Teile der Tarifvertragsfamilie auf

IG Metall will betriebsbedingte Kündigungen ab Mitte 2025 verhindern

 

Volkswagen hat viele Familiengeschichten über Generationen hinweg geprägt. Nun setzt der Wolfsburger Autobauer die Axt an die Zukunft kommender und bestehender Beschäftigungsgenerationen. Es ist Dienstag, der 10. September, als bei der IG Metall-Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt am Klagesmarkt in Hannover ein Einschreiben überstellt wird, dessen Inhalt dramatische Folgen haben kann: Volkswagen lässt seinen Ankündigungen der letzten Woche Taten folgen und kündigt eine ganze Palette an bestehenden Tarifverträgen und damit den vertrauensvollen Pfad der konstruktiven Zusammenarbeit auf.

 

 Im Wesentlichen hat das Unternehmen folgende Tarifverträge gekündigt:

 

  • Tarifvertrag zur nachhaltigen Zukunfts- und Beschäftigungssicherung (Zukunftstarifvertrag)

  • Rahmentarifvertrag für Beschäftigte mit Spezialisten- oder Führungsfunktion (TarifPlus)

  • §6 und 18 des Ausbildungstarifvertrags (Übernahme der Auszubildenden)

  • Tarifvertrag über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitnehmern

 


Damit spitzt sich die Tarifrunde 2024 massiv zu, noch bevor die erste Verhandlung überhaupt stattgefunden hat. Thorsten Gröger, Verhandlungsführer der IG Metall, erklärt: „Mit einem beispiellosen Angriff auf das gemeinsame, historische Tarifwerk stellt Volkswagen die Mitbestimmung vor eine der größten Zerreißproben in der Unternehmensgeschichte. Insbesondere das Aufkündigen der seit 30 Jahren gültigen Beschäftigungssicherung sowie die Drohkulisse von Werksschließungen werden entschiedenen Protest hervorrufen. Die damaligen Tarifvertragsväter haben verschiedene Krisenbewältigungsinstrumente eingebaut, die das Unternehmen nun über Bord wirft. Es braucht eine Jobgarantie nicht nur bei Schönwetterzeiten, sondern gerade in der aktuellen Herausforderung sollte diese ein Airbag für die Kolleginnen und Kollegen sein. Jetzt, wo die Fahrbahn rutschig wird und die Hindernisse auf der Straße zunehmen, baut VW diesen Airbag aus. Das werden wir nicht stillschweigend und tatenlos hinnehmen!“

 

Daniela Cavallo, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, sagt: „Jetzt hat das Unternehmen also wahrgemacht, wovon wir seit Tagen ausgehen. Und es bleibt dabei: Wir werden uns gegen diesen historischen Angriff auf unsere Arbeitsplätze erbittert zur Wehr setzen. Es wird mit uns keine betriebsbedingten Kündigungen geben.“

 

Volkswagen hat nun den aus seiner Sicht hinderlichen Schutzschirm für Beschäftigte, der betriebsbedingte Kündigungen ausschloss, aufgekündigt. Mit Einreichen der Kündigung bis Ende September ist dieser Zukunftstarifvertrag nun zum Jahreswechsel gekündigt. Bis zum Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung durch das Unternehmen haben die Tarifvertragsparteien allerdings 6 Monate Zeit für eine Einigung, weil der Tarifvertrag in dieser Zeit nachwirkt. Folglich könnte das Unternehmen erst ab Mitte 2025 betriebsbedingt kündigen. Ferner müsste Volkswagen dann noch auf Ebene der Betriebsparteien in Verhandlungen über einen Sozialplan einsteigen.

 

Mit der Kündigung des Zukunftstarifvertrags sind allerdings weitere Konsequenzen verbunden. Was als Mechanismus zur Kosteneinsparung zu Lasten der Beschäftigten gedacht ist, könnte sich für Markenchef Thomas Schäfer schnell als finanzieller Dammbruch erweisen. Paradoxerweise führt die Aufkündigung nämlich zu einer automatischen Entgeltanhebung für die tariflichen VW-Beschäftigten. Der Kündigungsschritt aktiviert alte tarifliche Regelungen, die dann wieder in Kraft treten. Mit der Einführung der 4-Tage-Woche wurde das Entgelt auf das Niveau der Branche abgesenkt. Vor 20 Jahren wurde dann die Arbeitszeit ohne Entgelterhöhung angehoben. Im Gegenzug wurde der tarifvertragliche Schutz vor Entlassungen vereinbart.

 

Für knapp die Hälfte der Belegschaft, die vor 2005 unter den Bedingungen des ehemaligen Haustarifvertrags ins Unternehmen eingetreten war, bedeutet das konkret: Sie müssen künftig ein bis zwei Stunden mehr pro Woche arbeiten (bisher: 33 Stunden im direkten und 34 Stunden im indirekten Bereich; künftig: Alle 35 Stunden). Doch im Gegenzug erhalten sie ein höheres Entgelt, die sogenannte Schattentabelle. Mit der Wiederinkraftsetzung älterer Regelungen kommen finanzielle Vorteile zurück, die mit der Einführung der 4-Tage-Woche vor Jahren abgeschafft wurden. Dazu gehören unter anderem eine 35-Stunden-Woche bei vollem Entgeltausgleich, zusätzliche Erholungszeiten von fünf Minuten pro Stunde, höhere Zuschläge für Überstunden und Samstagsarbeit sowie Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld.

 

Thorsten Gröger abschließend: „Insgesamt wirkt der Schritt Volkswagens völlig unbedacht, schließlich können die neu entstehenden Kosten an der Milliardengrenze kratzen. Der Vorstand spielt leichtfertig mit Arbeitsplätzen, wirft jahrzehntelang wirksame Tarifverträge auf den Scheiterhaufen und greift mit der Drohkulisse von Massenentlassungen in die billigste Management-Schublade. Streichorgien sind kein Zukunftskonzept! Wir werden nun intensiv mit unserer Tarifkommission beraten und den massiven Widerstand formieren. Das wird eine Auseinandersetzung werden, die Volkswagen lieber gescheut hätte!“

 

Die IG Metall fordert weiter vom Unternehmen, noch im September an den Verhandlungstisch zu kommen und die Tarifrunde nicht auf die lange Bank zu schieben. Es braucht schleunigst Klarheit für die Beschäftigten! Für die IG Metall ist klar: Alle Standorte müssen bleiben! Es braucht eine neue Beschäftigungssicherung! Tarifverträge sind einzuhalten!

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