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Weihnachtswunder von Hannover sichert Volkswagen-Standorte ab

Betriebsbedingte Kündigungen, Werksschließungen und Einschnitte in das laufende Monatseinkommen beim Autobauer abgewendet 

Mit einem umfassenden Tarifabschluss ebnet die IG Metall den Weg für ein weitreichendes Paket an Sicherheiten für die Beschäftigten und die VW-Standorte. Nach einem über 70-stündigen Verhandlungsmarathon steht nun ein Tarifergebnis, das nachhaltige Investitionen in die Zukunft des Automobilherstellers ermöglicht und zugleich für die Belegschaft und ihre Familien Perspektiven schafft.


In den Wochen zuvor hatten an zwei Warnstreiktagen jeweils rund 100.000 Beschäftigte an den Volkswagen-Standorten gegen die Kürzungspläne des VW-Vorstands protestiert. Ohne diese massive Beteiligung wäre die Abkehr des Vorstandes von seinen drastischen Plänen nicht möglich gewesen. 






„In einem für Volkswagen beispiellosen Tarifkampf unter historisch widrigen wirtschaftlichen Bedingungen ist es uns gelungen, für die Beschäftigten an den Volkswagen-Standorten eine Lösung zu finden, die Arbeitsplätze sichert, Produkte in den Werken sicherstellt und zugleich wichtige Zukunftsinvestitionen ermöglicht. Damit zeigen wir entgegen dem aktuellen Mainstream vieler Chefetagen: Zukunftslösungen sind ohne Massenentlassungen möglich! Wir setzen ein klares Signal gegen die vielfach gängige Managementpraxis, kurzfristige Renditen durch Entlassungen in Deutschland zu erkaufen“, erklärt Thorsten Gröger, IG Metall-Verhandlungsführer. 


Daniela Cavallo, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, führt aus: „Kein Standort wird dichtgemacht, niemand wird betriebsbedingt gekündigt und unserer Haustarifs wird langfristig abgesichert. Mit diesem Dreiklang haben wir unter schwierigsten konjunkturellen Bedingungen eine grundsolide Lösung erkämpft. Zwar gibt es tarifliche Zugeständnisse jenseits der monatlichen Einkommen – dem gegenüber stehen aber der solidarisch erwirkte Erhalt aller Standorte samt Zukunftsperspektiven, eine neue Beschäftigungssicherung bis Ende 2030 und nicht zuletzt die Gewissheit für den Vorstand, dass bei Volkswagen Veränderungen gegen den Willen der Belegschaft zum Scheitern verurteilt sind.“ 


Ausgangslage war eine Unternehmensplanung des Volkswagen-Vorstandes, die eine Abkehr von deutschen Produktionsstätten vorsah. Ein Streichen von Investitionen würde dazu führen, dass wichtige Modellentscheidungen verschoben oder technologische Investments, beispielsweise in Zukunftsfelder wie die Batteriezelle, nicht in ausreichendem Maße getroffen werden. Demzufolge wären Werksschließungen Hand in Hand mit dem Standortsterben auf Raten in den verbleibenden Regionen gegangen. Zudem hatte sich die Volkswagen-Führung mit der Kündigung der Beschäftigungssicherung den Weg für betriebsbedingte Kündigungen ab Mitte des kommenden Jahres freigemacht. 


„Versäumnisse aus der Vergangenheit, die dringende Notwendigkeit, in den technologischen Wandel zu investieren, sowie unsichere politische Rahmenbedingungen und eine verunsichernde politische Debatte haben Volkswagen, dessen Zukunft vor allem den eigenen Beschäftigten am Herzen liegt, in eine der herausforderndsten Situationen seiner Unternehmensgeschichte gebracht. Frühzeitig hat die Arbeitnehmerseite deutlich gemacht: Alle Werke brauchen Perspektive, und die Transformation gestaltet man nur mit der Belegschaft, niemals gegen sie“, führt Metaller Gröger weiter aus. 


Mit der Tarifverständigung konnten das Schließen ganzer Standorte, betriebsbedingte Kündigungen sowie ein Eingriff in die monatlichen Entgelte abgewendet werden – VW forderte unter anderem ein sofortiges pauschales Gehaltsminus von 10 Prozent. 

In einem sich verändernden Automobilmarkt mit mehr und mehr protektionistischen Tendenzen über dem Atlantik ebenso wie in Fernost sowie einer bisherigen Regierungspolitik, die sich an die Schuldenbremse klammert, sich damit aber gegen den Industriestandort wendet, sind sowohl Arbeitsplätze als auch Unternehmen in den letzten Monaten massiv unter Druck geraten.  


Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall nimmt die Politik in die Pflicht: „Wir haben als Sozialpartner mit dieser wichtigen Einigung bei VW Verantwortung übernommen. Unsere roten Linien haben wir gehalten. Jetzt muss das Management Zukunft liefern. Aber auch die Politik muss jetzt ihren Job machen und umgehend für Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen für die Industrie und den Hochlauf der Elektromobilität sorgen, um so eine langfristige Perspektive für die Beschäftigten zu schaffen!“


Die IG Metall hat frühzeitig die Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen erkannt, stets aber dafür plädiert, dass diese nicht einseitig auf dem Rücken der Beschäftigten getroffen werden dürfen. Dass eine Antwort auf Überkapazitäten und die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen gefunden werden muss, ist Konsens. 


„Wir haben in großer Verantwortung nun ein Paket geschnürt, das schmerzliche Beiträge der Beschäftigten beinhaltet, aber im gleichen Atemzug Perspektiven für die Belegschaften schafft. Dabei bringen die Arbeitnehmer temporär tarifliche Bestandteile, wie zum Beispiel Teile der Ergebnisbeteiligung, ein. Für die Zukunft soll das Entgeltsystem modernisiert werden. Im Gegenzug erhalten tausende Familien einen sicheren Zukunftsrahmen und die Kommunen Planbarkeit. Das ist gerade vor dem Weihnachtsfest ein wichtiges Zeichen der Stabilität und Verlässlichkeit. Gleichzeitig darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass der VW-Vorstand seine Hausaufgaben machen muss: Technologieführerschaft mit den besten Modellen, der besten Wertschöpfungskette und weiterhin den besten Beschäftigten“, sagt Thorsten Gröger weiter. 


Unter anderem haben sich die Tarifvertragsparteien auf folgende Eckpunkte verständigt: 


Beschäftigungssicherung: Der IG Metall gelang es, nachdem Volkswagen die bisher geltende Beschäftigungssicherung im September gekündigt hatte, eine neue Jobgarantie durchzusetzen. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2030 ausgeschlossen. Sollte nach Auslauf keine Anschlussregelung vereinbart werden, müsste das Unternehmen 1 Milliarde Euro an die Beschäftigten ausschütten.  


Entgeltplus als Beitrag zur Beschäftigungssicherung: Die Gewerkschaft hatte im November einen umfassenden Plan für die Zukunft Volkswagens präsentiert. Dieses Konzept lehnte das Unternehmen öffentlich ab, nun wird es nach dem Tarifabschluss Anwendung finden. Eine Entkopplung vom Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie konnte im Kern abgewendet werden. Dort wurde im November 2024 ein Tarifergebnis erzielt, welches eine tabellenwirksame Erhöhung von gut 5 Prozent für die Beschäftigten vorsieht. Diese Erhöhung wird bei Volkswagen zunächst ausgesetzt. Das zusätzliche Plus dient bis 2030 als Teilfinanzierung von Instrumenten zum Umgang mit Personalüberhängen ohne betriebsbedingte Kündigungen, aus dem zum Beispiel flexibel Arbeitszeitabsenkungen mit teilweisem Entgeltausgleich erfolgen und erweiterte Altersteilzeitangebote finanziert werden können. Ab 1.1.2031 erhöht sich die Entgelttabelle um diese gut 5 Prozent real. Bereits ab 2027 können künftige Tarifrunden auch bei Volkswagen für neue Entgeltsteigerungen noch vor 2030 sorgen. Damit üben sich Beschäftigte in einem temporären Verzicht, verhindern damit aber gemeinsam den Kahlschlag an den VW-Standorten und helfen sich solidarisch gegenseitig.  


Anpassung des Entgeltsystems: Ferner verständigten sich die Tarifvertragsparteien auf eine Überarbeitung des inzwischen jahrzehntealten Entgeltsystems. Die Analyse dafür beginnt im Jahr 2025, zum 1.1.2027 soll eine Umsetzung erfolgen.  


Ergebnisbeteiligung, Boni und Urlaubsentgelt: Ab 2026 bringen die Beschäftigten im Tarifbereich für zwei Jahre (2026 und 2027) vollständig die Mai-Zahlung der Ergebnisbeteiligung als Beitrag ein. In den Folgejahren (also ab 2028) wird die Mai-Zahlung nur reduziert ausgezahlt, prozentual aufsteigend, bis die Beschäftigten für das Geschäftsjahr 2030 wieder die volle Ergebnisbeteiligung erhalten. 


Künftig wird der Tarif Plus-Bonus rund 35 Prozent des Jahresbonus der untersten Entgeltgruppe im Management betragen – bislang waren es circa 50 Prozent. Dafür konnte ein gänzlicher Angriff Volkswagens auf die Tarif Plus-Systematik abgewendet werden. Mit dem Tarifergebnis stellt die Arbeitgeberseite sicher, dass sich Management und Vorstände in einem größeren Maße finanziell an der Zukunftsfestigkeit Volkswagens beteiligen. 


Das bisher gezahlte erhöhte Urlaubsentgelt (rund 1290 Euro) entfällt. Ab 2027 wird ein Bonus für Mitglieder der IG Metall eingeführt. Das bedeutet für das Kalender 2027 254,00 Euro, für das Kalenderjahr 2028 508,00 Euro sowie für das Kalenderjahr 2029 636,00 Euro. Ab 2030 beträgt der Mitgliederbonus dann 1.271,00 Euro tarifdynamisch.


Jubiläumsgratifikationen: Außerdem wird die Jubiläumsgratifikation für 25 und 35 Jahre Betriebszugehörigkeit angepasst – Volkswagen wollte diese bis zuletzt komplett abschaffen. Bisher galt: Für 25 Jahre Werkszugehörigkeit gab es das 1,45-Fache eines Monatsentgelts, bei 35 Jahren das 2,90-Fache eines Monatsentgelts. Zukünftig wird es für 25 Jahre Betriebszugehörigkeit eine pauschale Zahlung von 6.000 Euro und für 35 Jahre von 12.000 Euro geben, die tarifdynamisch sind. 


HTV I und HTV II: Ferner werden die Arbeitsbedingungen im Unternehmen hinsichtlich der Arbeitszeit vereinheitlicht: Beschäftigte aus dem sogenannten Haustarif I, also alle vor dem 1. Januar 2005 Eingestellten, arbeiten ab dem 1. Juli 2025 einheitlich 35 Stunden pro Woche – bisher arbeiteten diese Beschäftigtengruppe im indirekten Bereich 34 Stunden pro Woche und im direkten Bereich 33 Stunden pro Woche. Als Teilkompensation erhalten HTV-1-Beschäftigte 829,30 Euro (direkter Bereich) und 606,80 Euro (indirekter Bereich) in den nächsten 6 Jahren – im ersten Jahr dementsprechend anteilig.  


Ausbildungsplätze: Des Weiteren werden künftig bei Volkswagen 600 Ausbildungsplätze sowie Stellen für dual Studierende an den Standorten des Haustarifvertrags angeboten – Volkswagen wollte hier eine massivere Reduzierung vornehmen. Zusätzlich sollen perspektivisch 50 Kapazitäten für Einstiegsqualifizierungen geschaffen werden. Ferner wurde die von Volkswagen gekündigte Übernahmeverpflichtung der Auszubildenden wieder in Kraft gesetzt. 

Die Auszubildenden erhalten analog dem Flächentarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie ein Plus von 140 Euro je Monat. Diese Anhebung wird im März 2025 tabellenwirksam und dann ausgezahlt. 


Solidarische Werksbelegung für VW-Standorte sichert Arbeit und Produkte in den Regionen: 


Ohne Produkte und Wertschöpfung bringt die beste Beschäftigungssicherung auf Dauer nichts. Dahingehend haben sich IG Metall, Gesamtbetriebsrat und die Volkswagen AG im Zusammenhang mit den Tarifverhandlungen auf einen Fahrplan für die Werksbelegung verständigt. 


Wolfsburg wird umgebaut und ist ab 2029 bereit für mehrere SSP-Flaggschiffe rund um den ID.Golf. Basis dafür ist der „Game-Changer“-Ansatz, der Ende des Jahrzehnts komplett neue Konzepte wie Großguss in die Fertigung bringt. Um Platz dafür zu schaffen, geht der Golf an einen anderen Standort. Aus Zwickau kommen ID.3 und Cupra born an die Montagelinie 1. Eine mögliche Produktions-Drehscheibe mit Zwickau bleibt erhalten. Tiguan und Tayron bleiben, so wie auch die Gelenkwelle.


Braunschweig: In der Löwenstadt sind Zukunftsthemen aus der SSP-Familie veranschlagt: Hilfsrahmen, Lenkung („Steer by Wire“) sowie die erste Scheibe der Batteriesystemmontage. Zudem steuert Braunschweig auch zukünftig die Modulmontage-Standorte für Fahrwerke und Achssysteme. 


Chemnitz: Keine Änderungen: Chemnitz ist für die nächsten Jahre gut positioniert. Der Zukunftspfad ist bestätigt. Auf ein langfristiges Konzept für 2035 wird hingearbeitet. Wie Dresden und Zwickau auch, ist Chemnitz bereits ab 2026 im VW-Haustarif! 


Dresden: Ende 2025 endet die Fahrzeugfertigung. Bisher hatte die Gläserne Manufaktur (GMD) als Teil der Erlebniswelt ID.3-Fahrzeuge aus Zwickau endmontiert (zuletzt etwa 6000 Stück pro Jahr). Für die Zeit ab 2026 wird nun ein alternatives Gesamtkonzept erarbeitet. Fest steht dafür bereits: Die Volkswagen AG wird auch in Zukunft mit eigenen Aktivitäten am Standort präsent sein.  


Emden: ID.7 und ID.7 Tourer bleiben. Zusätzlich kommt ab 2026 das Komplettvolumen des neuen ID.4- ReSkin. Zweischicht ist so abgesichert, was zusammen mit der Beschäftigungssicherung Verlässlichkeit für Region und VW-Familien bedeutet. Zudem ist geregelt, dass ein weiteres Modell 2027 entschieden wird.  


Hannover: ID. Buzz und T7 Multivan bleiben – somit sind die Verlagerungspläne des Vorstands abgewehrt. Die Space-Familie kommt. Die Transformation der Komponente läuft weiter wie verabredet.  


Kassel: Die Zusagen für weitere E-Antriebe inklusive Pulswechselrichter (SSP-Plattform) stehen. Auch die Auslastung der Warmumformung und der Gießerei (inklusive Kompetenzcenter Großguss) ist gesichert. 


Osnabrück: Das T-Roc-Cabrio läuft länger als bisher veranschlagt: nämlich bis Spätsommer 2027. Darüber hinaus ist es Ziel, eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive für den Standort zu entwickeln. 


Salzgitter: Der zweite Zellblock (CP2) wird nicht mehr in Frage gestellt. Spätestens in der Planungsrunde 74 (im Jahr 2026) wird der Zeitpunkt entschieden – und der späteste SOP wird bestimmt vom Auslauf der Motoren. Sollte sich der Hochlauf der E-Mobilität verzögern, gibt es bei Bedarf erhöhtes Volumen vom EA211 zur Beschäftigungssicherung.


Zwickau bleibt Elektromobilitätsstandort mit dem Audi Q4 e-tron und entsprechenden Produktaufwertungen. Es entsteht eine mögliche Drehscheibe mit Wolfsburg. Zudem entsteht Kapazität, um erneut Pionier im Konzern zu sein: diesmal für den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft („Circular Economy“ – ein Trend zu Recycling-Themen entlang der gesamten automobilen Wertschöpfungskette). Und: VW Sachsen geht 2026 (statt 2027) in den VW-Haustarif!


Die Tarifkommission der IG Metall hat dem Tarifergebnis einstimmig zugestimmt.


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